Typ-1-Diabetes bei Kindern verändert das familiäre Zusammenleben

Stellen Ärzt:innen bei einem Kind die Diagnose Typ-1-Diabetes fest, verändert sich auch das Leben der Eltern. Sie übernehmen die Verantwortung für das Diabetes-Management, organisieren Therapie- und Schulungstermine und müssen häufig auch die Kinderbetreuung in Kita oder Schule neu aushandeln. Mütter tragen dabei den Löwenanteil der Belastung und stecken oft beruflich zurück, wie eine aktuelle Studie zeigt.1 Doch es gibt Hilfsangebote, die Familien bei ihrem schwierigen Balanceakt unterstützen.

Mutter klärt ihr Kind mit der Diagnose Typ-1-Diabetes über die Erkrankung auf.

Diagnose Typ-1-Diabetes bei Kindern: Herausforderung für die ganze Familie

Typ-1-Diabetes bei Kindern ist ein Familienprojekt, das viele Eltern vor große Herausforderungen stellt. Denn sie müssen sich nicht nur um die ärztliche Behandlung ihres Kindes kümmern, sondern auch viele andere Dinge unter einen Hut bringen: Therapie- und Schulungstermine vereinbaren, mit Kita- und Schulpersonal über den Diabetes sprechen, ihr Kind zu Sport- sowie Freizeitaktivitäten begleiten – und irgendwie trotzdem weiter Geld verdienen.

Für viele Eltern ist die Diagnose Typ-1-Diabetes deshalb mit erhöhtem Stress verbunden. So empfinden

  • 62 Prozent der Mütter,
  • 42 Prozent der Väter,
  • 47 Prozent der Diabetes-Kinder und
  • 20 Prozent der Geschwisterkinder

den Diabetes als psychisch hohe oder sogar sehr hohe Belastung.2

Langfristige Veränderungen der Berufstätigkeit

Neuerdings gibt es auch wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, welche Auswirkungen der Typ-1-Diabetes bei Kindern speziell auf die berufliche Situation ihrer Mütter hat. Die Leiterin der AMBA-Studie (Alltagsbelastungen der Mütter von Kindern mit Typ 1 Diabetes – Auswirkungen auf Berufstätigkeit und Bedarf an Unterstützungsleistungen im Alltag) Dr. Andrea Dehn-Hindenberg präsentierte im Mai 2019 die wichtigsten Ergebnisse dem Fachpublikum bei der Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft.2 Die Auswertung der 1.144 ausgefüllten Fragebögen zeigt: Für zahlreiche Mütter bedeutet die Diagnose Typ-1-Diabetes bei ihrem Kind langfristige Veränderungen im Berufsleben.3

Klassische Rollenverteilung zwischen Vätern und Müttern

Die AMBA-Studie macht deutlich, dass 39 Prozent der Mütter ihre Arbeitszeit reduzierten.2 Vor der Feststellung des Diabetes bei ihrem Nachwuchs übten 23 Prozent der Mütter eine Ganztagsbeschäftigung aus. Nachdem die Diagnose gestellt wurde, betrug dieser Anteil nur noch 14 Prozent.2 10 Prozent der Mütter haben wegen dem Diabetes-Bescheid ihren Beruf sogar komplett aufgegeben.2 Vor allem Frauen mit geringeren Bildungsabschlüssen arbeiteten infolge der Erkrankung ihrer Kinder nur noch in Teilzeit – oder blieben ganz zu Hause.1

„Das bedeutet gerade für diese Gruppe von Frauen langfristig ein hohes Armutsrisiko“, warnte Dr. Dehn-Hindenburg. Die Rollen scheinen in den meisten Familien noch sehr klassisch verteilt zu sein: Väter mussten nur selten beruflich kürzer treten, um die Alltagsbelastungen durch den Diabetes bewältigen zu können.

Eltern wünschen sich bezahlte Auszeit

Wenn die Mutter sich beruflich einschränkt, hat die Erkrankung ihrer Kinder einen Einfluss auf das Haushaltseinkommen: 46 Prozent der teilnehmenden Familien gaben an, sich als Folge der Diabetes-Diagnose mit nicht unerheblichen finanziellen Einschränkungen abfinden zu müssen.2 Dr. Dehn-Hindenburg zitierte eine Mutter, die in der Studie angemerkt hatte: „Es wäre schön, wenn ein Elternteil eine Art ‚Elternzeit’ für das kranke Kind nehmen könnte, die auch ein Entgelt bezüglich Lohnfortzahlung/Krankengeld beinhaltet.“

Eine finanzielle Unterstützung dieser Art würde besonders Alleinerziehende dabei helfen, Belastungen zu verringern. Das zeigte auch der Einwand einer anderen Mutter: „Arbeit und Diabetes-Kind sind nicht leicht unter einen Hut zu bringen. Gerade wenn man die Nächte durchmachen muss oder die Schule anruft. Ich bin oft kurz davor, meinen Job zu kündigen.“

Viele vermissen schnelle und unbürokratische Hilfen

Gerade zu Beginn der Diagnose hätten sich 42 Prozent der Familien im Alltag mehr Unterstützung gewünscht – „und zwar Hilfen, die zeitnah und ohne lange bürokratische Hindernisse zur Verfügung stehen“, machte Dr. Dehn-Hindenburg klar.1 Die Forderung vertrat auch eine weitere Teilnehmerin des Kongresses. Sie berichtete sichtlich ergriffen: „Ich bin Ärztin und betroffene Mutter eines Kindes mit Typ-1-Diabetes. Nach der Diagnose habe ich mir 10 Monate lang die Finger wund telefoniert, bevor ich einen Inklusions-Kitaplatz für mein Kind bekommen habe. Bitte tragen Sie diese Daten in die Politik!“

5 praktische Tipps für Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes, damit sich die Belastungen im Alltag besser bewältigen lassen:4

  1. Nehmen Sie beide an der Diabetes-Schulung teil: Nur wenn beide Elternteile sich gleichermaßen gut mit dem Diabetes-Management auskennen, können sie auch in gleichen Teilen Verantwortung dafür übernehmen.
  2. Lassen Sie sich nicht abwimmeln: Öffentliche Kitas, Kindergärten und Schulen müssen auch Kinder mit Typ-1-Diabetes aufnehmen und betreuen – und dürfen sie nicht einfach vom Sportunterricht oder von Klassenfahrten ausschließen. Hinter einer Ablehnung steckt oftmals kein böser Wille, sondern häufig Informationsdefizite.
  3. Nutzen Sie moderne Diabetes-Technik: Systeme zur kontinuierlichen Glukosemessung (rtCGM-Systeme) helfen nicht nur bei der Diabetes-Einstellung, sondern können Eltern und ihren Kindern auch neue Freiräume ermöglichen. So haben die meisten rtCGM-Systeme eine sogenannte Follower-App, mit der Betreuungspersonen die Glukosewerte im Blick behalten können, auch wenn das Kind in der Schule ist, bei Freund:innen spielt oder bei den Großeltern übernachtet.
  4. Beantragen Sie Integrationshilfe: Wenn Ihr Kind noch nicht eigenständig seinen Diabetes managen kann und auch die pädagogischen Fachkräfte hierzu nicht in der Lage sind, haben Sie Anspruch auf Integrationshilfe, damit sie einen Regelkindergarten beziehungsweise eine Regelschule besuchen können. Blutzuckermessung und Insulindosierung übernimmt ein Pflegedienst, der von der Krankenkasse bezahlt wird. Für die Schulbegleitung im Klassenraum oder beim Sport ist das Integrationsamt zuständig.
  5. Beantragen Sie ein persönliches Budget: Als Alternative zu Pflegedienst oder Schulbegleitung können Eltern auch beim Sozialamt ein (einkommensunabhängiges) persönliches Budget beantragen und nach eigenem Ermessen für die Betreuung ihrer Wahl verwenden. Diese Betreuungsperson kann auch ein Nachbar oder die Oma des Kindes sein, die sich ein paar Euro dazuverdienen möchte.

Buchtipp: In guten wie in schlechten Werten

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Cover des Buchs "In guten wie in schlechten Werten" von Antje Thiel.

Wie verändern sich Familien, wenn ein Mitglied die Diagnose Diabetes erhält? Auf welche Art beeinflusst die Erkrankung den Partner beziehungsweise die Partnerin?

Autorin Antje Thiel – selbst Typ-1-Diabetikerin – hat in ganz Deutschland betroffene Familien wie auch Paare besucht. Entstanden ist ein Mutmach-Buch mit 15 Porträts, ehrlich und authentisch. Antje Thiel lässt in ihrem Buch Lebenspartner:innen, Eltern und Kinder von Diabetes-Betroffenen zu Wort kommen.

Sie erzählen, wie schwankende Blutzuckerwerte ihre Beziehung beeinflussen, was zu Streit führt und zu welchen Herausforderungen es beim Umgang mit dem Diabetes kommen kann. Das Buch handelt aber auch davon, wie der Umgang mit der Erkrankung sie näher zusammengebracht und gestärkt hat – in guten wie in schlechten Werten!

Quellen

1 Vortrag „Alltagsbelastungen der Mütter von Kindern mit Typ 1 Diabetes“ von Andrea Dehn-Hindenburg bei der DDG-Jahrestagung 2019.

2 „Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes: Folgen für Berufstätigkeit, psycho-soziale Belastungen und Bedarf an Unterstützungsleistungen – Ergebnisse der AMBA-Studie“. Diabetes – Nicht nur eine Typ-Frage – www.diabeteskongress.de, Georg Thieme Verlag KG. Abgerufen am 9. November 2022, von https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/s-0039-1….

3 AMBA - Fachpublikum. Medizinische Hochschule Hannover. Abgerufen am 9. November 2022, von https://www.mhh.de/institute-zentren-forschungseinrichtungen/forschungs….

4 Diabetes in Kindergarten und Schule – Diabetes und Recht. Abgerufen am 9. November 2022, von https://www.diabetes-und-recht.de/diabetes-in-kindergarten-und-schule/.