Wie die innere Uhr den Blutzucker im Tagesverlauf steuert

Je nach Zeitpunkt kann es auch bei gesunden Menschen im Tagesverlauf zu Schwankungen der Blutzuckerwerte kommen. Dieser Verlauf ist jedoch natürlich und absolut unbedenklich. Erfahren Sie hier, welche Werte normal sind und welche Faktoren Einfluss auf den Blutzucker und den Insulinspiegel im Tagesverlauf haben.

Bild eines Weckers veranschaulicht die im Tagesverlauf schwankenden Blutzuckerwerte.

Die Insulinempfindlichkeit im Tagesverlauf

Der Blutzuckerstoffwechsel verläuft in regelmäßigen Wellen und hängt von der Tageszeit ab.1Grund dafür ist die innere Uhr des Körpers. Sie reguliert im Hintergrund viele wichtige Stoffwechselvorgänge und die Ausschüttung verschiedener Hormone, wie beispielsweise Insulin.2

Während des Tages benötigt der Körper ständig Energie in Form von Zucker. Dafür schleust das Insulin den Traubenzucker (Glukose) in die Zellen. Wie gut diese darauf reagieren und wie viel Insulin hierfür notwendig ist, hängt von der sogenannten Insulinempfindlichkeit (auch Insulinsensitivität) der Organe ab.

Im Normalfall ist die Insulinempfindlichkeit am Morgen niedrig, im Tagesverlauf nimmt sie dann zu. Abends ist die Insulinsensitivität etwas geringer als morgens.1 Der Stoffwechsel braucht daher mehr Insulin für die aufgenommenen  Kohlenhydrate.3

Der Blutzuckerspiegel steigt in den Morgenstunden an, um Energie für den Tag bereitzustellen. Im Laufe des Tages gibt es in der Blutzucker-Kurve mehrere Auf und Abs – je nach Nahrungsaufnahme und Energieverbrauch des Körpers. In der Regel erhöhen sich abends die Werte noch einmal, um dann ab etwa 20 Uhr bis zum nächsten Morgen stetig abzufallen.

Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes reagieren die Zellen nur teilweise oder gar nicht mehr auf die Insulinsignale, dadurch ist die Insulinempfindlichkeit verringert – in der Fachsprache auch als Insulinresistenz bezeichnet.

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Körperliche Einflüsse auf den Blutzuckerspiegel

Der Zustand des Körpers beeinflusst die Insulinempfindlichkeit und damit den Blutzucker im Tagesverlauf. Übergewicht und vermehrtes Fettgewebe verschlechtern die Insulinwirkung, Normalgewicht und eine aktive Muskulatur verringern dagegen die benötigte Insulinmenge.5

Bei psychischen Belastungen oder anderen Erkrankungen schüttet der Körper vermehrt Stresshormone aus, die den Blutzuckerspiegel erhöhen.6 Auch die Einnahme verschiedener Medikamente, beispielsweise Kortison, verschlechtert den Blutzuckerstoffwechsel.7

In der Pubertät oder während des Monatszyklus kommt es zu Hormonumstellungen oder -schwankungen, was ebenfalls Stress für den Organismus bedeutet. Wachstumshormone, die vor der ersten Tiefschlafphase ausgeschüttet werden, beeinflussen ebenso den Blutzuckerstoffwechsel. Sie steuern bei Kindern nachts das Längenwachstum. Bei Erwachsenen erneuern sie die Zellen und bauen Muskelgewebe auf. Für diese Aufbau- und Reparaturarbeiten ist Energie notwendig, daher setzen auch diese Hormone Glukosereserven frei.

Es gibt also zahlreiche Faktoren, welche am Blutzuckerstoffwechsel beteiligt sind und damit indirekt die Blutzuckerwerte und den Insulinspiegel im Tagesverlauf beeinflussen.

Blutzuckerspiegel am Morgen

Morgens nach dem Aufstehen sind die Blutzuckerwerte bei Menschen ohne Diabetes am niedrigsten. Bei gesunden Menschen sollte der Blutzuckerspiegel dann in folgendem Bereich liegen:8

  • Nüchtern: unter 100 Milligramm pro Deziliter
  • Nach dem Essen: unter 140 Milligramm pro Deziliter

Wenn in der Früh der Wecker klingelt, benötigt der Körper schnell Energie und schüttet verschiedene Hormone aus, die die Insulinempfindlichkeit herabsetzen. Daher ist der Insulinbedarf morgens höher.3

Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen aus der Chronobiologie – die sich mit der Bedeutung der inneren Uhr für den Organismus beschäftigt – zeigen, dass Tageslicht der wichtigste Taktgeber für die innere Uhr und ihr tägliches Hormonkonzert ist.2 Die Sehnerven im Auge reagieren in den frühen Morgenstunden auf Lichtreize und melden der Zentraluhr im Gehirn, dass es an der Zeit ist, für das Aufstehen, Kräfte zu mobilisieren. Auf dieses Signal hin beginnt die Nebenniere, den Botenstoff Kortisol auszuschütten.

Das Hormon hat unter anderem die Aufgabe, Glukosereserven aus der Leber freizugeben und auf diese Weise Energie für den Start in den Tag bereitzustellen. Eine ähnliche Wirkung entfalten die Botenstoffe Noradrenalin und Adrenalin, die der Körper bei Stress und in Gefahrensituationen ausschüttet. Auch ihre Spiegel steigen in der Früh an, um den Organismus aufzuwecken und hemmen die Wirkung von Insulin.9Die Hormone fungieren, wie das Kortisol, als Gegenspieler des Insulins, da sie Speicherzucker aus der Leber freisetzen und Fettreserven abbauen.

Wie sollte der Blutzucker abends sein?

Menschen mit Diabetes wird empfohlen, vor dem Schlafengehen noch einmal den Blutzucker zu messen, um in der Nacht eine Hypoglykämie (Unterzuckerung) zu vermeiden. Ein stabiler Blutzucker um 120 Milligramm pro Deziliter ist abends als optimal anzusehen. Fällt der Wert in den Unterzucker, können Symptome wie Schwitzen und Zittern bis hin zur Bewusstseinsstörung auftreten.

Blutzucker messen erklärt

Wie der Schlafrhythmus die Blutzucker-Kurve beeinflusst

Eine schlechte Schlafqualität kann sich ebenfalls auf den Blutzucker im Tagesverlauf auswirken. Unregelmäßiger Schlaf führt mit der Zeit zu Schlafstörungen.

Durch Schichtarbeit erhöht sich sogar das Risiko, an Typ-2-Diabetes und Übergewicht zu erkranken.11 Zusätzlich zum gestörten Schlafrhythmus kommt zu dieser Form von Arbeit noch eine unregelmäßige Nahrungsaufnahme. Sie findet teilweise spät abends oder in der Nacht statt. Die innere Uhr ist darauf jedoch nicht eingestellt.

Dem als „Schlafhormon“ bekannten Botenstoff Melatonin sagen manche Forschende eine Steigerung der Insulinempfindlichkeit im Tagesverlauf nach.2 Nachgewiesen ist: Der Körper schüttet Melatonin nur bei Dunkelheit aus. Lichtreize aus der Umgebung hingegen verhindern die Bildung und stören so den Schlaf. Das passiert vor allem durch blaues Licht, wie Bildschirme und Smartphones es absondern. Für einen erholsamen Schlaf empfiehlt es sich daher, Fernseher, Tablet und Handy aus dem Schlafzimmer zu verbannen.

Eine verminderte Schlafqualität bringt die innere Uhr aus dem Takt und beeinträchtigt so den Glukosestoffwechsel: Die Körperzellen reagieren weniger auf Insulin, wodurch die Blutzuckerwerte erhöht sind. Das lässt sich beispielsweise bei Fernreisen beobachten. Der mit der plötzlichen Zeitumstellung verbundene Jetlag kann neben dem Schlaf-Wach-Rhythmus die Verdauung und den Glukosestoffwechsel beeinflussen.5

Verändern Jahreszeiten die Insulinempfindlichkeit im Tagesverlauf?

Menschen mit Diabetes können beobachten, dass sich die Blutzucker-Kurve und Insulinsensitivität nicht nur im Tagesverlauf, sondern auch im Wechsel der Jahreszeiten verändert. Die Vermutung: Im Sommer haben die Tage mehr Sonnenstunden, deshalb benötigen sie weniger Insulin als im Winter.

Manchen Wissenschaftler:innen zufolge verbessert das Vitamin D, das sich bei Sonneneinstrahlung bildet, die Insulinempfindlichkeit.12 Doch andere vermuten einen einfacheren Grund für dieses Phänomen: In den Sommermonaten bevorzugen viele Menschen leichtere Kost und bewegen sich tendenziell mehr.13 Im Winter hingegen verbringen sie oft mehr Zeit auf der Couch und essen Mahlzeiten mit mehr Fett und Kohlenhydraten. Dann lassen sich Veränderungen im Insulinbedarf natürlich weder durch Vitamin-D-Mangel noch durch die innere Uhr erklären.

Quellen

1 Paderborn, U. Abends viele Kohlenhydrate? Ungünstig für die Gesundheit! Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://www.diabetes-online.de/kommentare/a/auf-die-tageszeit-kommt-es-….

2 Stenvers, D. J. (2019). Circadian clocks and insulin resistance. PubMed. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30531917/.

3 Paderborn, U. Abends viele Kohlenhydrate? Ungünstig für die Gesundheit! Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://www.diabetes-online.de/kommentare/a/auf-die-tageszeit-kommt-es-…-.

4 Insulinempfindlichkeit. Pflanzenforschung.de. Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/lexikon-a-z/insuline….

5 Schlafmangel stört den Glukosehaushalt. Deutsches Diabetes-Zentrum Düsseldorf www.ddz.uni-duesseldorf.de. Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://www.diabetes-deutschland.de/archiv/archiv_5303.htm.

6 Der Mensch - Anatomie und Physiologie (5., überarbeitete Auflage.). Thieme Verlag, 2011, 5. Auflage.

7 Wenn Kortison den Zuckerspiegel hebt. Deutsches Grünes Kreuz Für Gesundheit e.V. Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://dgk.de/presse/gesundheitsthemen/diabetes/wenn-kortison-den-zuck….

8 Gesundheitsinformation.de. Blutzucker und Zucker im Urin selbst messen. gesundheitsinformation.de. Abgerufen am 28. Oktober 2022, von https://www.gesundheitsinformation.de/blutzucker-und-zucker-im-urin-sel….

9 Insulin – und seine vielen Gegenspieler. Oktober 2022, von https://www.diabetes-online.de/a/insulin-und-seine-vielen-gegenspieler-….

10 Unterzuckert in der Nacht – was tun? diabetes-online. Abgerufen am 21. Februar 2023, von https://www.diabetes-online.de/a/unterzuckert-in-der-nacht-was-tun-1741….

11 Typ-2-Diabetes Ist Schichtarbeit ein Risikofaktor? - Innere Medizin - Georg Thieme Verlag. Thieme. Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://www.thieme.de/de/innere-medizin/typ-2-diabetes-schichtarbeit-ri….

12 Tröbitscher, N. (2017, May 8). Vitamin D: Joker gegen Diabetes. APOTHEKE ADHOC. Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/pharmazie/vitamin-d-und....

13 Sport in der kalten Jahreszeit – alles eine Frage der Motivation. Was für ein Leben. Abgerufen am 04. November 2022, von https://aok-erleben.de/artikel/sport-in-der-kalten-jahreszeit-alles-ein….