Diabetische Polyneuropathie: Symptome, Verlauf und Therapie

Jeder Körper ist mit einem komplexen Nervenfasernetz ausgestattet. Es verbindet das Gehirn mit allen Organen und überträgt Reize. Bei Menschen mit Diabetes kommt es im Verlauf der Erkrankung oft zu Nervenschädigungen, einer sogenannten diabetischen Polyneuropathie. Erfahren Sie hier mehr.

Person trägt gelbe Stiefel mit Löwenzahn und hofft auf Besserung ihrer diabetischen Polyneuropathie.

Symptome und Formen der diabetischen Polyneuropathie

Der Begriff diabetische Neuropathie steht für verschiedene Beschwerden, die alle 2 Punkte gemeinsam haben:

  • Sie kommen bei Menschen mit Diabetes vor.
  • Sie hängen mit Schädigungen der Nervenfasern an unterschiedlichen Stellen im Körper zusammen.

Die diabetische Nervenschädigung betrifft Nerven

  • des peripheren Nervensystems (verantwortlich für Bewegungen und Hautempfinden) oder
  • des vegetativen Nervensystems (steuert automatische, unbewusste Prozesse von Organen)

und macht sich somit durch verschiedenste Symptome bemerkbar. Eine der wohl bekanntesten Beschwerden ist der sogenannte diabetische Fuß, der sich durch Empfindungsstörungen im Fuß oder Unterschenkel zeigt.

Sind gleichzeitig mehrere Nerven durch die hohen Blutzuckerwerte beschädigt, sprechen Ärzt:innen laut Definition von diabetischer Polyneuropathie. Je nachdem, an welchen Nerven sich die Beschwerden bemerkbar machen, lassen sich verschiedene Formen von diabetischer Neuropathie unterscheiden:

Periphere diabetische Polyneuropathie

Diese Form der diabetischen Polyneuropathie verursacht zunächst keine Beschwerden.2 Sie zeigt sich als Erstes langsam an den äußersten Gliedmaßen, also in Zehen und Fingern. Erst später kommen Füße, Beine und Hände hinzu.

Irgendwann entstehen durch den erhöhten Zucker im Blut sehr starke Nervenschädigungen, die regelrechte Schmerzen in den Beinen auslösen.3 Die Symptome der peripheren diabetischen Neuropathie reichen von Sensibilitätsstörungen wie Kribbeln bis hin zu gestörten Schmerzwahrnehmungen.

Wenn Betroffene dadurch kleinste Verletzungen wie Blasen an den Füßen zu spät erkennen, kann es zu schweren Entzündungen kommen.4 Zusätzlich ist es möglich, dass bei der peripheren diabetischen Nervenschädigung nicht nur die Wahrnehmung von Berührung oder Schmerz eingeschränkt ist, sondern auch die motorischen Fähigkeiten.

Bei den ersten Anzeichen handeln

Sie haben Diabetes und bemerken neuerdings ab und zu Verletzungen an Händen oder Füßen, deren Entstehung Sie gar nicht bemerkt haben? Sie mögen keine Bettdecke auf den Beinen und die Reibung der Socken stört Sie? Dann sprechen Sie Ihre Beschwerden sowie Ihren Verdacht auf eine diabetische Polyneuropathie bei Ihrem Diabetes-Team unbedingt an. Nur so profitieren Sie von einer geeigneten Therapie.

Autonome diabetische Neuropathie

Die Symptome dieser Form der diabetischen Neuropathie machen sich anders bemerkbar, denn es sind die Nervenfasern des sogenannten vegetativen Nervensystems betroffen. Diese sind für die Funktion der Organsysteme zuständig.

Betroffene spüren zum Beispiel Einschränkungen im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems, Blasenentleerungsstörungen oder Verdauungsprobleme. Auch die Sehkraft kann im Verlauf der diabetischen Neuropathie nachlassen.4

Proximale diabetische Neuropathie

Zu den Nervenerkrankungen bei Diabetes mellitus gehört außerdem die sogenannte proximale diabetische Neuropathie. Diese Form kennzeichnet ein meist einseitiges Auftreten der Symptome. Zunächst machen sich dabei häufig Schmerzen im Bein bemerkbar, die sich im weiteren Verlauf womöglich zu einem zunehmenden Schwächegefühl sowie zum Rückgang der Muskulatur entwickeln.4

Fokale diabetische Neuropathie

Die Form der diabetischen Nervenschädigung betrifft nur wenige Nervenfasern. Wer nun jedoch denkt, dass die Beschwerden entsprechend geringer sein müssten, liegt falsch. Betroffene beschreiben Schmerzen hinter dem Auge, sehen Doppelbilder und können nur schwer oder gar nicht mit den Augen fokussieren. Zusätzlich kommen manchmal Lähmungserscheinungen des Augenlids oder der ganzen Gesichtshälfte vor, was sehr belastend ist und Betroffene im Alltag einschränkt.4

Symptome deuten: Diagnostik der diabetischen Neuropathie

Steht hinter den beschriebenen Nervenerkrankungen immer die Diagnose Diabetes mellitus? Nein, denn es sind insgesamt über 200 unterschiedliche auslösende Faktoren und Erkrankungen bekannt, die solche Nervenschädigungen hervorrufen können.3 Dennoch lässt sich sagen, dass Diabetes zu den häufigsten Ursachen gehört. Schätzungen zufolge leidet die Hälfte aller Menschen mit Diabetes im Verlauf an einer diabetischen Neuropathie.3

Auch aufgrund der weitreichenden möglichen Einschränkungen für Betroffene ist eine ausführliche Diagnostik unabdingbar, wenn kribbelnde Füße oder weitere Sensibilitätsstörungen auftreten. Es kann vorkommen, dass die Polyneuropathie sogar eines der ersten Anzeichen für eine schon länger vorliegende Diabetes-Erkrankung ist. So fällt ein bereits bestehender Diabetes mellitus von Fall zu Fall erst durch Gefühlsstörungen in den Gliedmaßen oder andere Symptome wie Schwierigkeiten beim Wasserlassen oder Sehstörungen auf.

Vielleicht haben Sie schon motorische Einschränkungen oder eine veränderte Sensibilität bei sich selbst festgestellt? So gehen Ärzt:innen vor, um eine diabetische Polyneuropathie festzustellen oder auszuschließen:

Vorgehen in der Basisdiagnostik

Zu Beginn der Ursachenforschung ist es wichtig, dass Sie über Ihre Beschwerden berichten. Beantworten Sie unter anderem folgende Fragen:

  • Wann treten welche Empfindungen auf und wo nehmen Sie diese wahr?
  • Liegen bei Ihnen Erkrankungen vor?
  • Nehmen Sie Medikamente ein?

Im Anschluss findet eine ausführliche neurologische Untersuchung statt, um einer diabetischen Polyneuropathie auf den Grund zu gehen. Dafür testet der/die Ärzt:in die Reaktionen der Haut auf Berührung und unterschiedliche Temperaturen genauso wie Ihre Reflexe und die Kraft der Muskulatur an verschiedenen Körperstellen.

Wichtige Untersuchungsmethoden

Es ist von großer Bedeutung, die Untersuchungen hinsichtlich einer diabetischen Polyneuropathie regelmäßig, umfangreich und genau durchzuführen. So lässt sich am besten der Verlauf dokumentieren und eine individuell passende Therapie einleiten. Dabei kommen in der Regel die folgenden Maßnahmen zum Einsatz:5

  • Stimmgabeltest zur Überprüfung der Nervenfunktion: Die/der Untersuchende schlägt die Stimmgabel an und hält sie dann an eine Körperstelle, bei der die Haut direkt über dem Knochen liegt (zum Beispiel Fußknöchel oder Handgelenk). Ob Sie die Vibration spüren, erlaubt eine Aussage bezüglich Ihrer Tiefensensibilität. Reagieren körpereigene Reflexe nicht oder nur abgeschwächt, so kann dies ein Hinweis für eine diabetische Neuropathie sein.
  • Elektroneurografie zur Bestimmung der Nervenleitfähigkeit: Wird ein Reiz weitergeleitet und wenn ja, wie schnell?
  • Elektromyografie zur Untersuchung der Muskelaktivität: Wie gut ist die Versorgung des Muskels durch die jeweiligen Nerven?
  • Quantitative sensorische Methode zur Überprüfung der Nervreaktion auf Reize: Hier kommen beispielsweise Temperaturunterschiede und Druck zum Einsatz, um zu überprüfen, ob eine diabetische Nervenschädigung vorliegt.
  • Elektrokardiogramm: Dadurch lässt sich feststellen, ob der Herzmuskel von der diabetischen Polyneuropathie betroffen ist.
  • Sonografie (Ultraschalluntersuchung) der Harnblase: Sie zeigt, ob sich Restharn in der Blase befindet, was wiederum Hinweise auf die autonome Form der diabetischen Neuropathie geben kann.

Lässt sich bei einer oder mehrerer der genannten Untersuchungen ein Befund feststellen, so sind oft Laboruntersuchungen des Blutes nützlich, um den Verdacht zu bestätigen und andere mögliche Ursachen auszuschließen. So dokumentiert der/die Ärzt:in nicht nur den Verlauf der diabetischen Neuropathie, sondern auch weitere Parameter wie zum Beispiel den HbA1c-Wert, der Rückschlüsse auf die langfristige Blutzuckerkontrolle erlaubt.

Therapie bei diabetischer Polyneuropathie: Möglichkeiten im Überblick

Der wichtigste therapeutische Ansatz stellt gleichzeitig ein sinnvolles Prinzip zur Prävention dar: Eine gut durchdachte und betreute Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung.

So ist es von großer Bedeutung, dass sich Menschen mit Diabetes um eine langfristig gute Einstellung ihrer Blutzuckerwerte bemühen. In Absprache mit dem jeweiligen Diabetes-Team ist in diesem Zusammenhang die dauerhafte Modifikation der Lebensmittelauswahl und der Aktivität genauso relevant wie das regelmäßige Messen der Blutzuckerwerte und bei Bedarf eine optimierte Versorgung mit Insulin sowie weiteren Medikamenten.



Gut zu wissen:

Ist der Blutzuckerspiegel gut eingestellt, verhindert das die Entstehung oder das Fortschreiten der diabetischen Polyneuropathie.6

Die Therapie der diabetischen Polyneuropathie orientiert sich weiterhin stets an der Ausprägung sowie dem symptomatischen Empfinden der Betroffenen. Pauschale Angaben über eine richtige Behandlungsoption sind deshalb unmöglich. Der Austausch zwischen Betroffenen und dem Diabetes-Team ist besonders wichtig, um im Verlauf der diabetischen Neuropathie individuell richtig zu handeln.

Folgende Medikamente kommen neben der jeweiligen Ernährungs- und Bewegungstherapie von Fall zu Fall zum Einsatz:

  • Schmerzmittel verschiedener Stärke
  • Medikamente gegen Schwindel
  • Arzneimittel gegen Übelkeit und Erbrechen
  • Potenzmittel und solche gegen Inkontinenz

Je nach Ausprägung der diabetischen Polyneuropathie erzielt auch die physikalische Therapie, im Sinne gezielter Krankengymnastik, Wärme- oder Kälteanwendungen, Massagen oder ähnlichen Methoden, gute Effekte. Zusätzlich kann die sogenannte transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) durch Reizung der Hautnerven über elektrische Impulse zu einer Schmerzlinderung führen.6

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die medizinische Fußpflege. Spätestens wenn diabetische Nervenschädigungen vorliegen, können Betroffene Schmerzen oft nur eingeschränkt wahrnehmen. Verletzungen bleiben daher leicht unbemerkt. Ist gleichzeitig die Durchblutung der Füße gestört (periphere arterielle Verschlusskrankheit; paVK), heilen Wunden schlechter und es kommt womöglich zu Komplikationen, wie zum Beispiel dem diabetischen Fußsyndrom. Im schlimmsten Fall führt das zur notwendigen Amputation von Zehen, Fuß oder Bein.7 Die regelmäßige medizinische Fußpflege trägt dazu bei, kleine Verletzungen oder Durchblutungsstörungen frühzeitig zu entdecken.

Verlauf der diabetische Neuropathie: Sind die Beschwerden heilbar?

Die diabetische Neuropathie ist zwar als solche nicht heilbar, doch eine gut durchdachte, individuell passende Therapie trägt dazu bei, den Verlauf und die Symptome abzumildern.2 Das Fortschreiten der Erkrankung lässt sich dadurch stoppen oder zumindest verlangsamen.2

Motivation und Mitarbeit vorausgesetzt, können Betroffene ihren Alltag bei gleicher Lebenserwartung frei gestalten. Das gilt insbesondere dann, wenn die diabetische Neuropathie frühzeitig erkannt wird. Umso wichtiger sind deshalb regelmäßige medizinische Kontrollen.

Diabetischer Neuropathie vorbeugen

Eine zusätzlich zum Diabetes mellitus vorliegende Nervenerkrankung stellt eine weitere Belastung für Betroffene dar. Da ist es gut zu wissen, dass es möglich ist, sowohl das Auftreten selbst als auch den Verlauf der Beschwerden positiv zu beeinflussen.

Bestimmte Faktoren tragen zu einem erhöhten Risiko bei, im Zuge des Diabetes auch eine Nervenschädigung zu erleiden. Welche Tipps gibt es zur Prävention?2

  • Ernähren Sie sich abwechslungsreich, passend zu Ihrem persönlichen Bedarf an Energie und Nährstoffen.
  • Verzichten Sie größtenteils auf Genussmittel wie Alkohol und Nikotin.
  • Integrieren Sie Alltagsaktivitäten und Sport in Ihren Lebensrhythmus.
  • Lassen Sie regelmäßig Ihre Laborwerte überprüfen, vor allem die Blutfettwerte.
  • Streben Sie ein gesundes Körpergewicht an.

Das Risiko für die Entstehung einer diabetischen Neuropathie sowie für die Verschlechterung der Symptome steigt an, wenn die Stoffwechselstörung Diabetes mellitus bereits über einen längeren Zeitraum unbehandelt vorliegt und wenn weitere Gefäß- oder Nervenerkrankungen hinzukommen. Achten Sie deshalb darauf, dass Ihr Zucker im Blut möglichst konstant ist, um dadurch Schmerzen in den Beinen vorzubeugen.

Quellen

1 Diabetische Neuropathie: Behandlung. gesund.bund.de. Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://gesund.bund.de/diabetische-neuropathie.

2 Diabetische Neuropathie und Polyneuropathie - Diabetesinformationsportal. Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://www.diabinfo.de/leben/folgeerkrankungen/nerven.html.

3 Polyneuropathie » Ursachen & Risikofaktoren ». Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/neurologie/erkrankung….

4 Diabetische Polyneuropathie » Diabetes mellitus » Krankheiten » Internisten im Netz ». Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://www.internisten-im-netz.de/krankheiten/diabetes-mellitus/diabet….

5 Polyneuropathie » Diagnostik ». Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/neurologie/erkrankung….

6 Polyneuropathie » Therapie ». Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/neurologie/erkrankung….

7 PAVK – Durchblutungsstörungen der Beine. Patienten-Information.de. Abgerufen am 31. Oktober 2022, von https://www.patienten-information.de/kurzinformationen/pavk.