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Respekt und Empathie zeigen sich auch im Sprachgebrauch

Gastbeitrag von Antje Thiel - Wie mit oder über Menschen mit Diabetes gesprochen wird, kann deren Therapieerfolg entscheidend beeinflussen. Während diskriminierende und stigmatisierende Formulierungen am Selbstvertrauen kratzen, kann eine respektvolle Kommunikation auf Augenhöhe zu einem eigenverantwortlichen Umgang mit der Erkrankung ermutigen. Ein jüngst veröffentlichtes Positionspapier zeigt, welche Begriffe Diabetesexpert:innen empfehlen und von welchen sie eher abraten.

Über die Macht der Worte und der Kommunikation wird in unserer Gesellschaft immer wieder diskutiert. Sprachgebrauch und Formulierungen haben Einfluss darauf, wie Menschen mit Erkrankungen wie Diabetes in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Es macht eben einen Unterschied, ob man sagt „Hierzulande leiden 8,5 Millionen Menschen an Diabetes“ oder „In Deutschland leben 8,5 Millionen Menschen mit Diabetes“. Ob von der Zuckerkrankheit die Rede ist, bei der man fast zwangsläufig an ungezügelte Süßigkeiten-Orgien denken muss – oder ob man die sachlich korrekte Bezeichnung Diabetes verwendet. Denn hinter einer Diabetesdiagnose steckt bekanntlich nicht zwangsläufig ein hoher Zuckerkonsum. Und ohnehin sind Vorwürfe und Schuldzuweisungen im Zusammenhang mit Erkrankungen ganz einfach fehl am Platz.

1. Bahnbrechendes Gemeinschaftsprojekt

„Language Matters“ heißt es daher seit vielen Jahren in den Diabetes-Communities etlicher anderer Länder: Es kommt auch auf die Sprache an.1 Seit Kurzem gibt es auch in Deutschland ein Positionspapier, in dem man sich über respektvolle und empathische Sprache zum Thema Diabetes informieren kann.2 Die deutsche Diabetes-Community ist mit ihrem Positionspapier zwar einige Jahre später dran als die anderer Länder. Doch dafür haben an ihrer Publikation Vertreter:innen aus gleich drei wichtigen Gruppen gleichberechtigt mitgewirkt: neben Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes (#dedoc°) waren auch eine Dachorganisation (Deutsche Diabetes-Hilfe, diabetesDE) und eine wissenschaftliche Fachgesellschaft (Deutschen Diabetes Gesellschaft, DDG) daran beteiligt.3 Dass sich Behandelnde und mit der jeweiligen Erkrankung lebende Menschen zusammengefunden haben, um gemeinsam ein Positionspapier zu sensibler Sprache zu entwickeln, ist tatsächlich ein absolutes Novum im deutschen Gesundheitswesen. Das Positionspapier wendet sich gleichermaßen an Menschen mit Diabetes und deren Angehörige, Medienschaffende, Lehrkräfte sowie an die breite Öffentlichkeit – und natürlich an das Fachpersonal der verschiedenen Gesundheitsberufe.

2. Respekt für die Leistung von Menschen mit Diabetes

Denn auch in der Diabetestherapie spielt die Wortwahl eine große Rolle. Spricht das Behandlungsteam beispielsweise davon, dass „Patient:innen in der Diabetespraxis eingestellt werden“, entsteht ein völlig falsches Bild davon, wie eine Diabetestherapie im Alltag abläuft. Denn letztlich sind es in erster Linie die Menschen mit Diabetes selbst, die im Alltag jeden Tag aufs Neue eigenverantwortlich Therapieentscheidungen treffen. Eine Formulierung wie „Die Diabetespraxis unterstützt und begleitet Menschen mit Diabetes in ihrer Therapie“ stimmt viel eher mit der Realität überein. Zudem spricht aus ihr auch Respekt für die Leistung von Menschen mit Diabetes, die jeden Tag – auch im Urlaub, auch am Wochenende – Glukosewerte interpretieren, über den Kohlenhydratgehalt ihrer Mahlzeiten nachdenken und ihre Medikamente dosieren.

3. Entscheidungen zur Therapie werden heute gemeinsam getroffen

Hinter dem Sprachwandel steckt auch ein verändertes Rollenverständnis in der Medizin. Früher galt es als normal, dass Menschen in weißen Kitteln ihren Patient:innen Anweisungen geben, wie sie mit ihrer Erkrankung umzugehen haben. Wer sich nicht an die ärztlichen Anordnungen hielt, galt als nicht therapietreu. Was Menschen mit Diabetes sich selbst von ihrer Therapie erhoffen, welche Behandlung in ihren Alltag passt und womit sie sich wohlfühlen, war damals völlig unerheblich. Heute hingegen legt man in der Medizin mehr Wert darauf, Menschen zuzuhören, auf ihre Wünsche und Erwartungen einzugehen und sie zum eigenverantwortlichen Umgang mit ihrer Erkrankung zu befähigen. Ob eine Therapie für sie geeignet und erfolgreich ist, wird auch an ihrer Lebensqualität gemessen. Der Schlüssel hierfür ist die sogenannte partizipative (gemeinsame) Entscheidungsfindung, die mittlerweile auch in den wissenschaftlichen Leitlinien verankert ist. 4

4. Zum Nachdenken über die eigene Sprache anregen

Angesichts des neuen Positionspapiers gibt es nun jedoch keine „Sprachpolizei“ zu befürchten, die anderen Menschen den Mund verbieten möchte. Die sprachlichen Empfehlungen sollen weder belehren noch verbessern, sondern zum Nachdenken über die eigene Sprache im Zusammenhang mit Diabetes anregen. Außerdem sollen sie aufzeigen, dass es Alternativen für einen reflektierten, nicht diskriminierenden Sprachgebrauch gibt.

5.Worte und Formulierungen auf dem Prüfstand

Hier ein paar Beispiele: 

Ungünstige Begriffe und die empfohlene Alternative

Warum?

Altersdiabetes

 

Empfohlene Alternative:

Diabetes im (höheren) Erwachsenenalter,

ggf. unter Angabe des Diabetestypen

Früher wurde Typ-2-Diabetes häufig als „Altersdiabetes” bezeichnet. Dieser Begriff ist nicht mehr zeitgemäß: Man weiß inzwischen, dass verschiedene Diabetesformen in verschiedenen Lebensaltern auftreten können

Jugenddiabetes

Empfohlene Alternative:

Diabetes im Kindes- und Jugendalter, ggf. unter Angabe des Diabetestypen

Früher wurde Typ-1-Diabetes häufig als „Jugenddiabetes” bezeichnet. Dieser Begriff ist nicht mehr zeitgemäß: Man weiß inzwischen, dass verschiedene Diabetesformen in verschiedenen Lebensaltern auftreten können

„schlimmer” Diabetes

Empfohlene Alternative:

Diabetes unter Angabe des Diabetestyps

(Typ 1, Typ 2 sowie andere Formen)

Viele Menschen denken bei „schlimm” an die Notwendigkeit einer Insulintherapie. Wie „schlimm” und belastend ein Mensch seinen Diabetes empfindet, ist aber sehr unterschiedlich

an Diabetes „leiden”

Empfohlene Alternative:

Mit Diabetes leben, Diabetes haben

Niemand möchte sich als hilfloses Opfer einer Erkrankung fühlen.Ob und wie stark ein Mensch unter Diabetes leidet, ist ebenfalls sehr unterschiedlich

 

 

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Quellen

1 Language Matters Diabetes, siehe: https://www.languagemattersdiabetes.com/the-documents

2 Sprache und Diabetes, #LanguageMatters, siehe https://www.diabetesde.org/system/files/documents/08_languagematters_pos...

3 Pressemitteilung von diabetesDE vom 10.11.2022, siehe https://www.diabetesde.org/pressemitteilung/erstes-positionspapier-patie...

4 Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) und Teilhabe in allen relevanten Lebensbereichen. Nationale Versorgungsleitlinie Typ-2-Diabetes, siehe: https://www.leitlinien.de/themen/diabetes/2-auflage/kapitel-1

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