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Ob man mit einem gesunden Glukosestoffwechsel durchs Leben geht oder irgendwann einen Typ-2-Diabetes entwickelt, kann unter anderem mit dem eigenen Verhalten zusammenhängen. Gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung sind die Stichworte, die im Zusammenhang mit Diabetes-Prävention immer wieder fallen. Doch hier ist keine Einzelperson, sondern die Politik gefragt.
Obwohl es sich bei Diabetes nicht um eine ansteckende Erkrankung handelt, steigt die Zahl der Betroffenen fast so rasant an wie bei einer Epidemie. Weltweit leben bereits rund 463 Millionen Menschen mit Diabetes, bis 2045 könnte ihre Zahl Expertenschätzungen zufolge auf 700 Millionen anwachsen.1 Wenn es um die Vorbeugung, also Prävention der Stoffwechselerkrankung geht, beschwören Fachleute, Politiker:innen und Medien in der Regel einstimmig die Eigenverantwortung von Menschen mit erhöhtem Risiko2: Sie sollten ihre Ernährung umstellen, viel Gemüse und wenig verarbeitete Lebensmittel essen, Zucker sowie versteckte Fette meiden und darauf achten, nicht mehr Kalorien zu sich zu nehmen als ihr Körper auch tatsächlich benötigt. Daneben wird unisono empfohlen, sich viel zu bewegen: Ob Ausdauertraining oder Mannschaftssport, Muckibude oder tägliche Spaziergänge – Bewegung verbraucht Extra-Kalorien und fördert außerdem die Muskelbildung. Muskelmasse wiederum verbrennt sogar im Ruhezustand mehr Energie als Fettgewebe. Außerdem auf der Liste finden sich Empfehlungen wie mit dem Rauchen aufzuhören, für ausreichend Schlaf zu sorgen und Stress zu vermeiden.
All diese Empfehlungen zur Prävention zielen auf das individuelle Verhalten ab. Sie sind richtig und wichtig: Würden sich alle Menschen daran orientieren, wäre Typ-2-Diabetes sicherlich eine eher seltene Erkrankung. Doch es ist eben nicht so leicht, das eigene Leben komplett umzukrempeln und gesundheitsbewusst zu gestalten. Manch einer unterstellt Menschen mit Diabetes daher, sie seien faul und undiszipliniert und daher eigentlich selbst Schuld an ihrer Erkrankung. Doch mangelnde Willensstärke ist nur ein Teil des Problems. Denn daneben gibt es eine ganze Reihe von Faktoren, die die Entstehung von Typ-2-Diabetes begünstigen und von Einzelnen nicht direkt beeinflusst werden können.
Fachleute sprechen hierbei von ‚diabetogenen‘ – also diabetesfördernden – Lebensverhältnissen. Um sie zu verändern, braucht es nicht nur persönliche, sondern auch politische und gesamtgesellschaftliche Initiative. Doch bislang tut sich in Sachen Verhältnisprävention leider nicht allzu viel, wie die folgenden Beispiele zeigen:
Täglicher Schulsport für Kinder und Jugendliche. Aus dem Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht 2020 geht hervor, dass es in Deutschland die Mehrheit der Kinder nicht schafft, sich täglich wie empfohlen eine Stunde lang zu bewegen.3 Und obwohl Sportmediziner:innen seit vielen Jahren für eine tägliche Stunde Schulsport werben4, tut sich hier bislang leider nichts.
Zuckersteuer auf Süßigkeiten und Softdrinks. In Großbritannien hat die Einführung einer Zuckersteuer 2018 dazu geführt, dass die Hersteller von Softdrinks weniger Zucker in ihre Limonaden mischen5. In Deutschland scheut die Politik einen solchen Schritt bislang. In ihrem Koalitionsvertrag im Dezember 2021 konnte sich die künftige Ampel-Regierung dazu durchringen, Werbung für ungesunde Kinderlebensmittel zu verbieten – zu wenig, findet die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)6.
Verbindliche Nährwertkennzeichnung. In anderen Ländern hat sich die Nährwert-Ampel oder der Nutri-Score längst etabliert, mit dem Verbraucher:innen sich auf den ersten Blick orientieren können, ob ein Fertigprodukt aufgrund seiner Zutaten eher ungesund oder empfehlenswert ist. Hierzulande ist die Lebensmittelindustrie noch immer nicht verpflichtet, ihre Produkte entsprechend zu kennzeichnen.
Fußgängerfreundliche Innenstädte. Mit breiten und sicheren Fußwegen sowie autofreien Innenstädten steigt die Motivation zum Spazieren und Flanieren. Fachleute sprechen von ‚Walkability‘, wenn Städte so angelegt sind, dass sie viele Anreize zur Fortbewegung bieten7. Die meisten Kommunen tun sich allerdings eher schwer damit, Autos aus den Innenstädten zu verbannen und Fußgänger:innen Vorrang einzuräumen.
Soziale Benachteiligung beenden. Auf Diabeteskongressen wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Diabetesrate in sozial benachteiligten Regionen deutlich höher ist als in Gegenden, wo gutsituierte und privilegierte Menschen leben. Wer dafür sorgt, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich nicht immer weiter öffnet, hilft auch bei der Diabetesprävention.
Gesundheitsbezogene Landkarten. In Dänemark und Australien werden mittlerweile digitale Landkarten erstellt, auf denen man mit einem Blick ungesunde beziehungsweise gesundheitsfördernde Faktoren erkennen kann – etwa, wie viele Fastfood-Restaurants oder Sportangebote es in einzelnen Regionen gibt.8
Fachleute fordern deshalb schon seit vielen Jahren, dass der Fokus von der individuellen Verhaltensprävention auf die Verhältnisprävention verlagert werden sollte. So mahnt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG): „Die Lebenswelten der Bevölkerung – vom Kindergarten, über die Schule, bis hin zur Arbeit sowie im alltäglichen Umfeld wie zum Beispiel im Supermarkt, bei der Stadtplanung oder auch in den täglich konsumierten Medien – müssen so gestaltet sein, dass es leichtfällt, sich gesund zu ernähren und mehr zu bewegen.“9 Im Jahr 2020 hat der Deutsche Bundestag zwar endlich die Nationale Diabetesstrategie beschlossen. Sie sieht unter anderem vor, dass „die Rahmenbedingungen für ein gesundes Leben verbessert werden, etwa durch verbindliche Qualitätsstandards für das Essen in öffentlichen Einrichtungen, vor allem Schulen und Kitas. Um den Anteil von Zucker, Salz und Fett in Fertiglebensmitteln zu verringern, sollten verbindliche Reduktionsziele etabliert und steuerliche Anreize geprüft werden“10. Doch mit der Umsetzung dieser Strategie tut sich die Politik nach wie vor schwer.
Es ist also nicht fair, Menschen mit Diabetes mangelndes Interesse an ihrer eigenen Gesundheit vorzuwerfen – schließlich zeigt die Gesellschaft als Ganzes auch kein großes Engagement, die Lebensverhältnisse in diesem Land gesünder zu gestalten.
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1 9. Diabetes Atlas der International Diabetes Federation (IDF) von 2019, siehe https://idf.org/aboutdiabetes/what-is-diabetes/facts-figures.html [Link zuletzt abgerufen am 3.12.2021]
2 11 Tipps zur Prävention, Deutsche Diabetes Stiftung, siehe https://www.diabetesstiftung.de/11-tipps-zur-praevention [Link zuletzt abgerufen am 3.12.2021]
3 Vierter Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht 2020, siehe: https://www.bundestag.de/resource/blob/829816/1fb85e606d75d91f16539bbfcba94f23/20210324-Kernaussaugen-data.pdf [Link zuletzt abgerufen am 3.12.2021]
4 Gesundheitsstadt Berlin 13.1.2017: ‚Grundschule: Täglicher Sport sinnvoll‘, siehe: https://www.gesundheitsstadt-berlin.de/grundschule-taeglicher-sport-sinnvoll-11018/ [Link zuletzt abgerufen am 3.12.2021]
5 Deutsches Ärzteblatt 3.2.2020: ‚Die britische Zuckersteuer wirkt‘, siehe https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/109097/Die-britische-Zuckersteuer-wirkt [Link zuletzt abgerufen am 3.12.2021]
6 Pressemitteilung der DDG, November 2021: ‚Zu wenig gewagt: Ampel-Koalitionäre bleiben bei der Bekämpfung der Volkskrankheit Diabetes unkonkret und mutlos‘, siehe https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/user_upload/09_Presse/Pressemitteilungen/2021/
20211126_PM_Koalitionsvertrag_Ampel_F.pdf [Link zuletzt abgerufen am 3.12.2021]
7 Deutschland.de 2.10.2020: ‚Städte für Fußgänger‘, siehe: https://www.deutschland.de/de/topic/umwelt/autofreie-innenstadt-lebenswerter-und-gesuender [Link zuletzt abgerufen am 3.12.2021]
8 Diabetes Zeitung 22.10.2021, Seite 30: ‚Warum ist Diabetes-Prävention so unpopulär?‘
9 Pressemitteilung der DDG vom 12.8.2021: ‚Diabetes-Prävention muss politisch gewollt sein‘, siehe https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/presse/diabetes-praevention-muss-politisch-gewollt-sein, siehe: [Link zuletzt abgerufen am 3.12.2021]
10 Deutscher Bundestag, 3.7.2020: ‚Bundestag will mehr Prävention bei Adipositas und Diabetes mellitus‘, siehe: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw27-de-diabetes-strategie-701742 [Link zuletzt abgerufen am 3.12.2021]