Aktualisierte Leitlinien zur Therapie des Typ-1-Diabetes

In der Behandlung des Typ-1-Diabetes gab es in den vergangenen Jahren ungeheuer viele technische Innovationen. Damit die Therapieempfehlungen mit dieser Entwicklung Schritt halten, hat die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) zusammen mit weiteren medizinischen Fachgesellschaften eine neue wissenschaftliche Leitlinie zur Therapie des Typ-1-Diabetes veröffentlicht.

Arzt informiert sich am Laptop zur aktualisierten Diabetes-Leitlinie.

Leitlinien: Leitfäden für Ärzt:innen und Patient:innen

Wer mit einer chronischen Erkrankung wie Diabetes lebt, möchte sich darauf verlassen können, dass das Behandlungsteam in der Arztpraxis fachlich immer up to date ist. Schließlich ist niemand erpicht auf veraltete Therapieempfehlungen, die nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entsprechen.

Für Ärzt:innen, die den ganzen Tag in ihren Praxen für Menschen mit gesundheitlichen Problemen da sind, ist es allerdings kaum möglich, alle bedeutsamen Studien in ihrem Fachgebiet zu lesen. Um sie und anderen Gesundheitsfachkräften den Überblick über die aktuelle Studienlage zu erleichtern und ihnen zu helfen, daraus wissenschaftlich fundierte Behandlungsempfehlungen abzuleiten, veröffentlichen wissenschaftliche Fachgesellschaften daher in regelmäßigen Abständen sogenannte Leitlinien:

Medizinisch wissenschaftliche Leitlinien werden in Entwicklungsstufen von S1 bis S3 eingeteilt, wobei S3 für die höchste Qualitätsstufe der Entwicklungsmethodik steht. Für eine S3-Leitlinie müssen unzählige wissenschaftliche Studien einbezogen und in ihrer Relevanz bewertet werden. Außerdem muss eine S3-Leitlinie regelmäßig überprüft und aktualisiert werden.1

Viele technologische Fortschritte seit 2018

Eine solche Aktualisierung hat nun bei der S3-Leitlinie zur Therapie des Typ-1-Diabetes stattgefunden.2 Die vorige Version stammte aus dem Jahr 2018 – und seither hat sich bei den Behandlungsmöglichkeiten dieser Stoffwechselerkrankung erfreulicherweise viel getan. Vor allem die Fortschritte auf dem Gebiet der Diabetestechnologie machten die Überarbeitung und Aktualisierung der Leitlinie erforderlich. An ihr haben neben der Deutschen Diabetes Gesellschaft auch eine Reihe weiterer medizinischer Fachgesellschaften – unter anderem der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD) und diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe – mitgewirkt.3

CGM-Systeme mittlerweile Standard bei Typ-1-Diabetes

Mit der neuen S3-Leitlinie wollen die Autor:innen dazu beitragen, die Rate von Komplikationen und Folgeschäden zu senken, die mit Diabetes einhergehen können. Hierzu kann insbesondere die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) mithilfe von Glukosesensoren beitragen. Denn dank der jederzeit abrufbaren Glukosewerte und Alarmen bei Über- und Unterzuckerungen helfen diese Systeme, allzu starke Glukoseschwankungen zu vermeiden. Sie sind deshalb mittlerweile zum Standard des Glukosemonitorings bei Menschen mit Typ-1-Diabetes geworden. Die Zeit im Zielbereich – auch Time in Range (TIR) – gilt beispielsweise als neue Messgröße neben dem HbA1c, um die Passgenauigkeit der Einstellung des Stoffwechsels abzubilden.

Auch Insulinpumpen, die im Tagesverlauf bedarfsgerecht Insulin abgeben, sind eine wichtige technische Errungenschaft, die das Leben mit Typ-1-Diabetes erleichtert. Erstmals beschreiben die Autor:innen in der aktualisierten S3-Leitlinie auch den Einsatz neuer Diabetestechnologien wie Systeme zur automatischen Insulindosierung (AID). Hier existieren zwar angesichts der rasanten technologischen Entwicklung naturgemäß noch keine Studien mit Langzeitdaten, wie sie normalerweise für die Entwicklung von Leitlinien gefordert werden. Die Autor:innen betonen aber, dass es viele Studien und Erfahrungen von Expert:innen und Patient:innen zu diesem Thema gibt, die den Vorteil dieser Therapieoptionen eindeutig belegen.

Die wichtigsten Empfehlungen auf einen Blick

  • Gemeinsam entscheiden: Menschen mit Typ-1-Diabetes sollen an diagnostischen und therapeutischen Prozeduren beteiligt werden. Hierbei sprechen Fachleute von der „partizipativen Entscheidungsfindung“, Diabetesteam und Patient beziehungsweise Patientin entscheiden also gemeinsam über die Ziele und Maßnahmen der Therapie.
  • Aufklärung über Diabetestechnik: Wenn die auf diese Weise vereinbarten Therapieziele nicht erreicht werden, sollen Menschen mit Typ-1-Diabetes über mögliche technische Hilfsmittel sorgfältig informiert und gegebenenfalls mit ihnen (Glukosesensoren, Insulinpumpen, AID-Systeme) versorgt werden. Die Leitlinie bietet einen Überblick über die aktuellen neuen Behandlungsoptionen und auch die verschiedenen kommerziellen AID-Systeme, die zum Zeitpunkt der Leitlinienerstellung verfügbar waren. Auch die sogenannten Do-it-yourself-AID-Systeme werden bewertet. Außerdem erläutern die Autor:innen, wie Studien zu AID-Systemen konzipiert und durchgeführt werden, um zu wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen zu gelangen.
  • Nutzen und Risiken abwägen: Menschen mit Typ-1-Diabetes sollen über den Nutzen und die Risiken einer Therapieform oder Therapievorgabe sorgfältig informiert werden, damit diese gemeinsam mit dem Diabetesteam einen bestmöglichen Kompromiss zwischen dem Schutz vor Unter- und Überzuckerungen (Hypo- und Hyperglykämien) sowie der Vermeidung von Folgeschäden erzielen.
  • Lebensqualität und Therapiezufriedenheit: Mittlerweile nehmen die Leitlinien nicht nur die klinischen Ergebnisse der Behandlung, sondern auch die Lebensqualität und Therapiezufriedenheit von Menschen mit Typ-1-Diabetes in den Blick: Ziel der Therapie ist es, auch diese beiden Parameter zu verbessern.
  • Psychische Belastungen: Das Leben mit Diabetes kann seelisch belastend sein. Entsprechend haben Menschen mit Diabetes ein erhöhtes Risiko für Depressionen und andere psychische Erkrankungen. Die neue Leitlinie sieht vor, dass Menschen mit Typ-1-Diabetes von ihren Behandlungsteams daher regelmäßig mindestens einmal im Jahr nach psychischen Belastungen im Zusammenhang mit ihrem Diabetes befragt werden sollten.
  • Therapie im Krankenhaus: Wenn Menschen mit Typ-1-Diabetes im Krankenhaus stationär versorgt werden, wird ihr Diabetesmanagement leider allzu oft vernachlässigt. Dabei ist eine möglichst stabile Stoffwechsellage auch für den Behandlungserfolg bei anderen Erkrankungen wichtig. Daher sieht die Leitlinie vor, dass das Personal auf Normalstationen wie Intensivstationen zu einer angemessenen Diabetesversorgung beitragen sollte. Grundsätzlich sollten Menschen mit Typ-1-Diabetes ihr Selbstmanagement so weit wie möglich fortführen können und die Glukosewerte allen betreuenden Teammitgliedern zugänglich machen. Dies gilt insbesondere für CGM-, Insulinpumpen- und AID-Systeme. Wenn es aufgrund einer akut lebensbedrohlichen Erkrankung erforderlich ist, auf eine intravenöse Insulintherapie umzustellen, sollten Maßnahmen zum Schutz vor Hypoglykämien getroffen werden.
  • Therapie auf Reisen : Menschen mit Typ-1-Diabetes unterliegen keinen nennenswerten Beschränkungen bezüglich Reiseaktivität und Zielen. Einschränkungen ergeben sich allenfalls durch Folgeerkrankungen. Die Leitlinien empfehlen, bei der Reisevorbereitung unter anderem mit Checklisten zu arbeiten.
  • Intensive Schulungen: Diabetesschulungen haben in Deutschland bereits heute einen hohen Standard. Die Leitlinie betont allerdings, dass die adäquate Schulung von Menschen mit Typ-1-Diabetes besonders im ambulanten Bereich noch stärker verankert werden sollte.
  • Schutz vor Folgeerkrankungen: Die Leitlinie listet die häufigsten Folgeerkrankungen des Typ-1-Diabetes (Schäden an Nerven, Augen, Nieren und großen Gefäßen) auf. Um das Risiko für diese Folgeerkrankungen zu reduzieren, sollen Menschen mit Typ-1-Diabetes sich intensiv bemühen, ihre mit dem Diabetesteam vereinbarten Glukoseziele zu erreichen – dies reduziert zum einen das Risiko für Folgeerkrankungen und verlangsamt auch das Fortschreiten, wenn bereits Folgeerkrankungen aufgetreten sind.
  • Ausblick in die Zukunft: Noch führt für Menschen mit Typ-1-Diabetes kein Weg an einer Insulintherapie vorbei. Doch es gibt Fortschritte auf dem Gebiet der Betazell-Ersatztherapie. Hierbei handelt es sich entweder um die Transplantation ganzer Organe (Bauchspeicheldrüse beziehungsweise Niere und Bauchspeicheldrüse in Kombination) oder die alleinige Transplantation von Inselzellen aus im Labor angezüchtetem Gewebe. Die aktuelle Leitlinie bietet einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand bei der Betazell-Ersatztherapie, die in Zukunft möglicherweise eine Alternative zur klassischen Insulintherapie darstellen könnte.

Fazit: Die neue S3-Leitlinie richtet sich zwar in erster Linie an medizinisches Fachpersonal, doch auch Menschen mit Typ-1-Diabetes können sich in ihr einen guten Überblick über aktuelle wissenschaftlich abgesicherte Therapieempfehlungen verschaffen.

Quellen

1 AWMF-Regelwerk Leitlinien. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e. V. Abgerufen am 20. März 2024, von https://www.awmf.org/regelwerk.

2 Therapie des Typ-1-Diabetes, S3-Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Version 5.0, AWMF-Registernummer: 057-013, Abgerufen am 20. März 2024, von https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/057-013.

3 Weitere mitwirkende Fachgesellschaften: Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, Deutsche Adipositas Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaften, Verband der Diabetesberatungs- und Schulungsberufe Deutschlands, diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe.